www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Einführung

2.5 Psychologie

Im Vergleich zu den schon genannten Disziplinen ist die Menge verschiedener (human-) ökologischer Ansätze in der Psychologie vielleicht am grössten und damit auch am verwirrendsten. Jenachdem ist von ökologischer Psychologie, von Umweltpsychologie oder von psychologischer Ökologie die Rede.99 Auch ist die Geschichte einer ökologischen Orientierung kürzer. Gerald L. Young schreibt den Arbeiten von Roger Barker in den 50er Jahren, die er dann später in seinem Buch “Ecological Psychology” zusammenfasste,100 einen Pioniercharakter zu. Das entscheidend Neue dabei war, dass menschliches Verhalten nicht mehr unter kontrollierten Labor-, sondern unter unkontrollierbaren Feldbedingungen untersucht wurde.101 Allerdings kann man die Wurzeln dieser Innovation weiter zurück im Werk von Kurt Lewin erkennen, dessen Student Barker gewesen war. Lewin entwickelte Vorstellungen - er nannte sie “Feldtheorie” - über einen psychologisch relevanten Lebensraum, innerhalb von dem ein Zusammenwirken von inneren und äusseren Faktoren das menschliche Verhalten bestimmen würde.102 Er operierte mit der Formel V = f (PU), d.h. er betrachtete das Verhalten (V) als Funktion der Interaktion zwischen Persönlichkeit und anderen individuellen Faktoren (P) und der vom Individuum wahrgenommenen Umwelt (U). Dies stand im Gegensatz zu anderen Ansätzen, die einseitig entweder Bedürfnisse oder Reizobjekte als primär für das Verhalten verantwortlich machten. Während Lewins Sprache ziemlich physikalistisch tönte, aber doch auf die Erfassung von Valenzen rein psychologischer Art abzielten, wandte Barker seine Aufmerksamkeit der objektiv gegebenen materiellen Umwelt und ihrer Rolle als ein “Verhaltensumfeld” (“behavior setting”) zu, wobei er aber auch berücksichtigte, dass dieses Umfeld sozio-kulturellen Definitionen unterliegt, die sich in sozialen Verhaltensregeln äussern. Ein solches Verhaltensumfeld ist z.B. eine Kirche, ein Klassenzimmer, ein Spielfeld.103
Eine etwas neuere Entwicklung ist die ökologische Psychologie im Sinne von James J. Gibson.104 Er operiert mit einem Konzept von ökologischer Realität, die aus den Beziehungen zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt besteht, und zwar sind die beiden Seiten als zwei Aspekte des gleichen nicht-reduzierbaren Systems zu betrachten. Es ist deshalb folgerichtig, dass eine Analyseeinheit stets aus Lebewesen plus Umwelt besteht und die wechselseitigen Beziehungen in relationalen Termen gefasst werden. Dabei sind drei Punkte erwähnenswert:
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Die Weise, in der ein Lebewesen seine Umwelt wahrnimmt, ist eine Art von “direct perception” (der Titel eines Buches von Clare F. Michaels und Claudia Carello),105 die ein aktives Mittun des ganzen Körpers erfordert, und geht nicht, wie oft in konstruktivistischer Manier dargestellt, via Informationstransfer und kognitive Prozesse vonstatten, die dann in einer Abbildung von Elementen der Umwelt in der Psyche des Tieres enden. Damit verbunden ist
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die Feststellung, dass Wahrnehmen und Tun nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, sondern einen kontinuierlichen Zyklus bilden: “The perceiving-acting cycle ... is such that perception constrains action by detecting the information by which activities are guided and action constrains perception by altering the animal-environment system and thereby the available information.”106 Schliesslich heisst dies
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auch, dass es nie eine Umwelt an sich, sondern nur eine auf bestimmte Lebewesen bezogene Umwelt gibt. Bestimmte Örtlichkeiten mit ihren biophysischen Konstellationen haben für die betreffenden Tiere eine besondere Bedeutung als “affordances”, d.h. als Gelegenheiten, die eine Fortbewegung fördern, ein Umgehen von Hindernissen ermöglichen, Nahrung anbieten, sich als Schlafplatz eignen usw.107
Diese Theorie greift dann im Falle des Menschen sicher insofern zu kurz, als bei ihm viele Elemente der Umwelt eine sozio-kulturell definierte und sprachlich vermittelte Bedeutung erlangen. Mit einem weitergehenden relationalen Ansatz, der die spezifisch menschliche Lebenssitutation in den Blick nimmt, hat sich Alfred Lang beschäftigt.108 Umgekehrt ist aber auch die interessante Frage zu stellen, ob bei Menschen nicht auch noch vorsprachliche und in diesem Sinne auch vorsoziale Bedeutungen von Umweltkomponenten eine Rolle spielen, eine Möglichkeit, die z.B. von Benno Werlen rigoros verworfen wird.109
Heute denken wir, wenn wir von “Umweltpsychologie” hören, wohl zuerst an eine Sparte der Psychologie, die sich seit den 70er und 80er Jahren speziell in Reaktion auf die Wahrnehmung einer ökologischen Krise entwickelt hat.110 Das Interesse dieser Art von Psychogie richtet sich in erster Linie auf die Frage eines Umwelt- oder ökologischen Bewusstseins, das zu umweltverantwortlichem Handeln führen kann. Es gibt dabei verschiedene Varianten eines Verständnisses von Umweltbewusstsein, aber ein gemeinsamer Grundzug vieler Ansätze ist, dass sie mit einer kognitiven, einer affektiven und einer konativen Dimension operieren. Die erste Dimension bezieht sich auf Wissen über ökologische Zusammenhänge, insbesondere auch auf die ökologischen Auswirkungen menschlichen Tuns; es wird von ihr angenommen, dass sie eine handlungssteuernde Funktion hat. Die zweite Dimension macht sich in Einstellungen und Werthaltungen bemerkbar, die handlungsstimulierend wirken. Und mit der dritten Dimension ist die effektive Handlungsbereitschaft oder -absicht angesprochen. Eine differenziertere Darstellung der berücksichtigten Variablen findet sich im Modell in Abb.8. Die schon genannten drei Dimensionen belegen die fett umrandeten Felder. Die kognitive und die affektive Dimension belegen eine Ebene. Es wird angenommen, dass sie beide rückwärts von dahinterliegenden persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Ausbildung, Beruf usw.) und auch von sozio-kulturellen Faktoren (soziales Beziehungsnetz, geltende Normen) beeinflusst werden und ihrerseits vorwärts auf die konative Dimension, also die Handlungsbereitschaft, eine Wirkung ausüben, wobei aber die letztere auch noch von der Existenz von Handlungsangeboten (z.B. der Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln) und Handlungsanreizen (z.B. eine Belohnung ökonomischer Art) abhängen. Erst daraus kann sich dann das tatsächliche Handeln ergeben.
Abbildung 8: Ein typisches Kausalmodell, wie es in der Forschung zur Umweltpsychologie verwendet wird (nach Nauser 1993: 232)
Abbildung 8: Ein typisches Kausalmodell, wie es in der Forschung zur Umweltpsychologie verwendet wird (nach Nauser 1993: 232)

Anmerkungen

99
Eine Übersicht über verschiedene Ansätze bieten William H. Ittelson u.a. 1977.
100
Roger Barker 1968.
101
Siehe Young 1974: 23.
102
Siehe Kurt Lewin 1936. Eine Zusammenfassung von Lewins Feldtheorie findet sich in Ittelson u.a. 1977: 96-98.
103
Siehe Ittelson u.a. 1977: 98-100 für eine zusammenfassende Beschreibung des Barkerschen Konzeptes.
104
Siehe James J. Gibson 1979 und auch den zusammenfassenden Artikel von Claudia Carello 1993.
105
Clare F. Michaels und Claudia Carello 1981.
106
Carello 1993: 123. Wir notieren hier die Ähnlichkeiten dieser Auffassungen mit dem weiter oben erwähnten Funktionszyklus von Jakob von Uexküll.
107
Siehe dazu Carello 1993: 125 ff.
108
Siehe Alfred Lang 1993.
109
Vgl. Benno Werlen 1993: 303.
110
Für eine Übersicht siehe Markus Nauser 1993: 230 ff., und Hans G. Kastenholz 1993: 42 ff.