www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Einführung

1.2 Zur Humanökologie

Wenn mit Ökologie allgemein die Wechselwirkungen von Lebewesen mit ihrer Umwelt bezeichnet werden, dann ist offensichtlich mit “Humanökologie” speziell die Ökologie des Lebewesens Mensch gemeint. Tatsächlich sagt denn auch Bernhard Glaeser kurz und bündig: “Gegenstand der Humanökologie sind ... Interaktionen, Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Umwelt.”8 Das ist aber nur eine Minimalbeschreibung. Ein genauerer Blick auf die Situation der Mensch-Umwelt-Beziehung verlangt einige Präzisierungen. Warum? Der Mensch ist nicht nur ein biologisches, sondern auch ein Kulturwesen. Als Resultat der Kulturgeschichte ist deshalb nicht nur die biophysische Umwelt - ausser bei archaischer Lebensweise - mehr oder weniger ausgeprägt anthropogen umgestaltet, sondern auch die soziale Umwelt ist durch die Akkumulation von tradiertem Wissen geprägt. So steht der Mensch ständig mit seinen eigenen Produkten in Wechselwirkung und Erwin Jantsch kann deshalb sagen: “Wir leben als Individuen gewissermassen in Koevolution mit uns selbst ...”9
Im Gegensatz zur biologischen Ökologie ist die Humanökologie keine anerkannte wissenschaftliche Disziplin, jedenfalls nicht in zusammenhängender, alle Aspekte des menschlichen Daseins umfassender Form. Die disziplinäre Zersplitterung der Wissenschaft steht der Existenz einer solchen “Superdisziplin” entgegen. Dementsprechend finden wir dafür dann eine Aufteilung von humanökologischen Ansätzen auf eine Reihe von etablierten Disziplinen. Dabei sind über die Biologie hinaus alle humanwissenschaftlichen Disziplinen von Bedeutung, die einen Einfluss auf die Mensch-Umwelt-Beziehung haben können. Denn schliesslich ist ja das sog. Umweltproblem nicht ein Problem der Umwelt, sondern der menschlichen Gesellschaft. Zu den relevanten Fachgebieten gehören z.B. die Geographie, die Kulturanthropologie, die Soziologie, die Psychologie, die Ökonomie und die Politologie. Wir werden anschliessend in einem historischen Abriss Beispiele von solchen intradisziplinären Humanökologien besprechen - dies mit Ausschluss der beiden letztgenannten Disziplinen, zu denen wir uns bei späterer Gelegenheit äussern werden.
Angesichts des bedrohlichen Zustandes, in der sich die reale Lebensform des Menschen auf diesem Planeten befindet, und angesichts der Tatsache, dass diese Lebensform rein wissenschaftlich nicht adäquat erfasst werden kann, drängt sich die Frage nach einer Humanökologie auf, die ihren Ausgangspunkt zwar in irgendeiner der wissenschaftlichen Disziplinen hat, von dort aus dann aber versucht, zuerst Beziehungen zu weiteren relevanten Disziplinen herzustellen und schliesslich auch über die Grenzen der Wissenschaft hinaus in Verbindung mit ausserwissenschaftlichen Bereichen zu treten. Gegenüber den verschiedenen intradisziplinären Humanökologien stellen wir hier somit die Forderung nach einer Humanökologie als einer übergeordneten Sichtweise auf, die keine pure Wissenschaft im herkömmlichen Sinne mehr sein kann, sondern eine sehr viel weiter gefasste Perspektive darstellt. Dabei geht es weniger um die Schaffung neuen umsetzbaren Wissens, das direkt zur Problemlösung beitragen soll, sondern mehr um einen Beitrag zu einem veränderten Bewusstseinszustand, der Anlass für andere Einstellungen und Handlungsweisen werden kann. Der Entwurf einer derartigen neuen Humanökologie, das ist unser Thema.

Anmerkungen

8
Bernhard Glaeser 1975: 391.
9
Erwin Jantsch 1984: 246.