www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Politisches

6. Demokratie und Ökologie

Wir können uns nun die Frage stellen, ob und wie eine Demokratie westlicher Prägung, deren Zustand wir oben anhand des Problems der menschlichen Freiheit skizziert haben, fähig ist, sich der ökologischen Krise anzunehmen und zu ihrer Lösung beizutragen. Das eben Gesagte wird uns dabei wohl kaum zu sehr grossem Optimismus verleiten können. Tatsächlich wird denn auch eine ökologische Leistungsfähigkeit unseres gegenwärtigen politischen Systems weitherum als gering eingeschätzt, ja geradezu als "Staatsversagen" diagnostiziert. Wenn diese Diagnose zutrifft, stellt sich aber danach natürlich die Frage: Was dann? Wie kann eine atomisierte Gesellschaft, deren politisches System im Sog der Wirtschaft ihre Eigenständigkeit verloren hat, sich erneuern? Ich denke, dass dies tatsächlich über ein Projekt der oben genannten Art, das die Furcht vor der Freiheit überwindet, laufen muss, und damit ist, anders ausgedrückt, die Notwendigkeit eines Bewusstseinswandels der Mitglieder dieser Gesellschaft angesprochen. Ein solcher Wandel, so stelle ich mir vor, erfordert eine Ausweitung des jetzt dominant isolierten Selbst der Individuen zu einem relationalen Selbst, das seine Identität nicht aus einer Anhaftung an tote materielle Güter gewinnt, sondern aus Beziehungen zu einer lebenden Mitwelt. In einem ersten Schritt kann dies den zunächst näheren Umkreis dieser Mitwelt in Form einer menschlichen Gemeinschaft und damit die Bildung eines "sozialen Selbst" betreffen. Wir können Aspekte eines solchen Schrittes anhand einer in den USA als Reaktion auf einen übersteigerten Liberalismus entstandenen Richtung der politischen Philosophie, des sog. "Kommunitarismus", erläutern. Wollen wir aber darüber hinaus auch eine ökologisch verträgliche Gesellschaftsform ansteuern, benötigen wir in einem zweiten Schritt eine Erweiterung des Beziehungsrahmens über die menschliche Gemeinschaft hinaus zur umgebenden Natur, damit für die Individuen die Möglichkeit der persönlichen Entfaltung zu einem "ökologischen Selbst" geschaffen wird. Entsprechend können wir in diesem Fall dann von der Idee eines "ökologischen Kommunitarismus" reden. Das Problem natürlich: Mit dem Bewusstseinswandel alleine ist es nicht getan; noch sind die Strukturen des politischen und auch des Wirtschaftssystems nicht geändert, und deren Wandel ist ja umgekehrt eine Voraussetzung für die Bildung eines veränderten menschlichen Bewusstseins, jedenfalls insofern sie über die Art der Beziehungen entscheiden, in die sich Individuen eingeben können. Wir werden also das Wechselspiel zwischen den Individuen und ihrem Umfeld berücksichtigen müssen. Grundsätzlich dürfte es aber klar sein, dass der Anstoss für jegliche Art von Veränderung immer nur von unserem Bewusstsein ausgehen kann, denn gesellschaftliche Strukturen ändern sich nicht von selbst.205

Anmerkungen

205
In diesem Sinne sieht Meyer-Abich (1997, 438) schwarz, wenn er feststellt, dass uns gegenwärtig nicht nur die der Industriegesellschaft angemessenen staatlichen Institutionen fehlen, sondern dass auch kein allgemeiner Wille auszumachen ist, der zu einer staatlichen Erneuerung führen könnte.