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Weltbilder

Weltbilder

Einführung
1. Begriffliches und Grundsätzliches
1.1 Was ist ein Weltbild?
1.2 Alternative Bezeichnungen
1.3 Gibt es eine Logik des Weltbildwandels?13
Dieser Abschnitt ist mit Änderungen übernommen aus Dieter Steiner 1996: 18-21.
Die Weltbilder, die uns hier interessieren, sind Weltbilder grosser Reichweite, d.h. solche, die über einen grösseren Raum und über längere Zeit hinweg für eine Kultur bzw. Stufe der kulturellen Entwicklung einen prägenden Charakter haben. Tatsächlich ist es ja so, dass es im Laufe der kulturellen Evolution verschiedentlich einen Wandel von einem bisher vorherrschenden zu einem fortan dominanten Weltbild gibt. Diese Wechsel können plausiblerweise mit der Bewusstseinsentwicklung, d.h. einer Veränderung der massgebenden Bewusstseinsstrukturen in Verbindung gebracht werden - in der auf dem Gebser'schen Schema beruhenden Tabelle 1 ist dies schon angedeutet.
Wenn wir aber der Abfolge verschiedener Bewusstseinsstufen eine gewisse Logik zuschreiben, dürfen wir auch im Vorgang des Weltbildwandels ein logisches Element erwarten. Das Struktur-Konzept können wir mit einer Anknüpfung an die Begrifflichkeit von Jean Piagets Entwicklungspsychologie (vgl. 5.1 in "Bewusstsein") erhellen. Piaget versteht unter einer Struktur eine Menge von Regeln, eine Art Algorithmus, mit Hilfe dessen unsere in einem allgemeinsten Sinne verstandene Intelligenz eine Problemlösungskompetenz bekommt. Dies ermöglicht ihr, ihre grundlegende Funktion, die Piaget als Anpassung an äussere Faktoren sieht, auszuüben. Diese Anpassung kann (wie auch schon in 5.1 in "Bewusstsein" erläutert) zwei Formen annehmen: Assimilation und Akkomodation. Die erstere meint die Fähigkeit, neue Erfahrungen in der bestehenden Struktur anzusiedeln - was auch heissen kann, dass die Umwelt entsprechend dieser bestehenden Struktur modifiziert wird -, während sich die letztere auf das Vermögen bezieht, auf Umwelteinflüsse mit einer Veränderung der vorhandenen Struktur zu reagieren.14
Vgl. dazu z.B. Philippe Muller 1969: 56 ff., oder auch Herbert Ginsburg und Sylvia Opper 1975, 38.
Auf die Frage des Weltbildwandels übertragen würde dies bedeuten, dass in Zeiten, in denen ein Weltbild mehr oder weniger stabil bleibt, die assimilative Funktion vorherrscht, während in Zeiten der Weltbild-Veränderung die akkomodative Funktion die Oberhand hat.
Nun bezieht sich Piagets Theorie zwar auf die ontogenetische Entwicklung menschlicher Individuen, aber es darf doch vermutet werden, dass ähnliche Prinzipien auch bei der psychischen Entwicklung der Menschheit insgesamt eine Rolle spielen. Tatsächlich sieht denn auch Eder im Weltbildwandel den Ausdruck einer piagetischen Entwicklungslogik,15
Siehe Eder 1980: 151.
und eine entsprechende Auffassung wird auch von Günter Dux vertreten.16
Dux 1990.
Arnold Gehlen spricht ausdrücklich davon, dass der Weltbildwandel mit grundlegenden bewusstseinsstrukturellen Veränderungen verbunden sei, indem es nämlich "über den Gang der Menschheitsgeschichte hinweg eine Änderung der Bewusstseinsstrukturen selber, nicht bloss natürlich unendliche Änderungen der Inhalte des Bewusstseins gegeben hat."17
Arnold Gehlen 1986: 10.
Gebser wendet sich dagegen, überhaupt von "Entwicklung" zu reden, da der jeweilige Wandel ein sprunghafter sei und besser durch die Bezeichnung "Mutation" charakterisiert werden könne:
Ihre [der Mutationen] scheinbare Aufeinanderfolge ist weniger eine biologische 'Entwicklung' als eine 'Entfaltung', ein Begriff, der die Teilhabe einer geistigen Realität an der Mutation zulässt. ... Mit jeder neuen Bewusstseinsmutation entfaltet sich das Bewusstsein stärker, während der Entwicklungsbegriff den Mutationscharakter ausschliesst, da dieser im Gegensatz zur Kontinuierlichkeit der Entwicklung diskontinuierlich ist.18
Gebser 1949: 67-68.
Wie bilden und verändern sich die Strukturen überhaupt? Piaget verwirft in seiner Theorie sowohl eine biologistische (die Strukturen sind vererbt), wie auch eine kulturalistische Interpretation (die Strukturen sind durch die sozio-kulturelle Umwelt geformt) und plädiert für einen "genetischen Strukturalismus", der in der Wechselwirkung zwischen Denken und Umwelt die Triebfeder der Entwicklung sieht. Dux dagegen hält für die Bewusstseinsentwicklung im Rahmen der kulturellen Evolution im Wesentlichen nur die Wirkung der äusseren Realität für massgeblich. Er sagt:
Der Aufbau der Wirklichkeit ist vordringlich eine Frage des Aufbaus kategorialer Formen, in denen Wissen akkumuliert werden kann. Dieser Prozess vollzieht sich an einer immer schon vorgegebenen Wirklichkeit ... Das Resultat, das System der Kategorien, ist deshalb ein realistisches, weil in ihm die senso-motorischen Erfahrungen verarbeitet sind.19
Dux 1990: 145.
Ich meine, dass dies eine einseitige Sicht ist, die die Möglichkeit der Mitwirkung innerer Faktoren vernachlässigt. Dux redet trotzdem von einer "Logik der Weltbilder", worunter offenbar im Minimum zu verstehen wäre, dass die jeweiligen Bedingungen diese Wirklichkeit darstellen, die strukturformend wirkt, und dass die Folge von Bedingungen und daraus entstehenden Weltbildern rekonstruierbar ist. Er sagt dazu:
Weltbilder und mit ihnen das Verständnis des Menschen sind ... einsichts- und begründungsfähig. Sie bilden sich unter angebbaren Bedingungen und entwickeln sich in der Geschichte strukturlogisch stringent fort. Die Geschichte selbst kennt eine Logik. Und die lässt sich rekonstruieren.20
Dux 1990: 15.
Piaget redet umgekehrt - obschon er im Prinzip eine Wechselwirkung von Innen und Aussen postuliert - von einer gewissen Autonomie der Entwicklung, indem diese relativ unabhängig vom sozio-kulturellen Umfeld verlaufe.21
Siehe dazu Muller 1969: 62 ff.
Er betont damit die Eigenkreativität des menschlichen Organismus. Eine in dieser Hinsicht noch verstärkte Auffassung wird von Gebser vertreten: Er ist "überzeugt, dass aus uns selber die Kräfte kommen," die "alles Defizient- und Fragwürdig-Gewordene" in Richtung eines neuen Bewusstseins überschreiten.22
Gebser 1949: 12.
So oder so, die Frage, was unter einer "Entwicklungslogik" genau verstanden werden soll, ist nicht ohne Interesse, denn je nachdem stellt sich dann die Folgefrage, ob damit gemeint ist, dass der Abfolge von Weltbildern ein Grad von Unausweichlichkeit zukommt. Wenn ja, bedeutete dies, dass sich diese Unausweichlichkeit nicht nur auf die zugrunde liegenden Bewusstseinsstrukturen, sondern auch, weniger offensichtlich, auf die jeweils zeitgenössischen gesellschaftlichen Strukturen erstrecken würde. Denn "Weltbilder [sind] ... symbolische Schematisierungen der Welt. Damit erfassen sie per definitionem zugleich die Objektwelt, die soziale Welt und die subjektive Innenwelt."23
Eder 1980: 150.
Und wir haben in Anlehnung an Piaget festgestellt, dass eine bestimmte Bewusstseinsstruktur nicht nur die Tendenz hat, Wahrnehmungen ihrer spezifischen Ordnung zu unterwerfen, sondern nach Möglichkeit auch eine entsprechende Umgestaltung der Umwelt zu bewirken. Die Frage stellt sich, weil die Vorstellung einer Folgerichtigkeit der Entwicklung im Widerspruch zur Vermutung steht, die kulturelle Evolution des Abendlandes habe einen falschen Entwicklungspfad eingeschlagen, gewissermassen im Sinne einer "kollektiven Erkrankung" ein "falsches Bewusstsein" erreicht.24
Vgl. Georg Picht 1979: 16.
Zu den Gründen einer solchen Vermutung gehört die Existenz einer ökologischen Krise und der damit verbundenen Selbstgefährdung. Eine vorsichtige Antwort könnte die sein, dass der Entwicklung der Bewusstseinsstrukturen und damit der zugehörigen Weltbilder zwar eine gewisse Unvermeidlichkeit zukommt, dass aber ihre Auffüllung mit detaillierten Inhalten einen historisch-kontingenten Charakter hat. Eine weitergehende Interpretation würde aber das Übel schon in einer Nicht-Angemessenheit der hintergründigen Strukturen erblicken und daran erinnern, dass der Übergang von den matrizentrischen Gesellschaften des Neolithikums und der Bronzezeit zu den politischen Gesellschaften der Zeit der sog. Hochkulturen mit einer Patriarchalisierung verbunden war, die ihrerseits zur Dominanz eines Bewusstseins männlichen Typs führte. Wenn wir der These zustimmen, dass der Zustand der Aussenwelt auf das Bewusstsein zurückwirkt, dann muss dieses männliche Bewusstsein sich an den geschaffenen patriarchalen Gesellschaftsstrukturen in einer selbstverstärkenden Weise bestätigt gefunden haben. Jedenfalls können wir diese Entwicklung nicht einfach aus zugrundeliegenden natürlichen Anlagen ableiten (vgl. mit 7 in "Bewusstsein"). Die gesellschaftliche Patriarchalisierung als historischer Vorgang ist auch recht gut dokumentiert, so z.B. durch die Untersuchungen mesopotamischer Kulturen der amerikanischen Historikerin Gerda Lerner.25
Siehe Gerda Lerner 1991.
1.4 Ein idealtypisches Schema
1.5 Parallelisierung von Weltbildarten, Bewusstseinsstufen und Gesellschaftstypen
1.5.1 Nicht-hierarchisches Weltbild
1.5.2 Holistisch-organismisches und atomistisch-mechanistisches Weltbild
1.5.3 Relational-evolutionäres Weltbild
2. Holismus versus Atomismus: Zwei Weltbilder im Widerstreit41
Dieses Kapitel ist mit Änderungen übernommen aus Steiner 1996: 28-38.
2.1 Zwei Kulturen
2.2 Geist versus Materie
2.3 Zwecke versus Ursachen
2.4 Werte versus Fakten
2.5 Konsequenzen für das Mensch-Umwelt-Verhältnis
3. Überwindung der Gegensätze: Archaisches in Vergangenheit und Zukunft97
Dieses Kapitel ist mit Änderungen übernommen aus Steiner 1996: 38-49.
3.1 Das undifferenzierte Weltbild der archaisch-matrizentrischen Zeit
3.2 Leben ist mehr als Sprache
3.3 Die Dualität des relationalen Weltbildes
3.4 Warum der Zusatz "evolutionär"?
3.5 Verbindung zwischen Zwecken und Ursachen
3.6 Versöhnung zwischen Werten und Fakten
3.7 Die ökologische Vernunft kann nicht etwas Beliebiges sein
4. Rolle und Bedeutung der Deutungssysteme Religion, Philosophie und Wissenschaft171
Dieses Kapitel ist mit Änderungen übernommen aus Steiner 1998.
4.1 Der heutige Orientierungsverlust
4.2 Die "seelisch-geistige Nahrungskette"
4.3 Zu den "Nahrungsunterbrüchen" und ihrer Überwindung
4.3.1 Wissenschaft
4.3.2 Philosophie
4.3.3 Religion
Zitierte Literatur