www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Bewusstsein

6.1.3 Das "transpersonale Überbewusstsein" bei Ken Wilber

In Anlehnung an Jean Gebser (vgl. 4) skizziert der amerikanische frühere Biochemiker und jetzige Transpersonalpsychologe Ken Wilber ein Entwicklung des menschlichen Bewusstseins über verschiedene Stufen. Auf der archaischen und auf der magischen Stufe ist ein präpersonales Unbewusstes massgebend, während auf der mythischen Stufe ein Übergang zu einem personalen Selbstbewusstsein stattfindet, das sich dann auf der heutigen mentalen Stufe voll ausbildet. Danach aber postuliert Wilber, ähnlich wie Teilhard de Chardin, aber ohne dessen christlichen Kontext, eine Weiterentwicklung zu einem planetaren oder kosmischen Bewusstsein, das er "transpersonales Überbewusstsein" nennt. Auch hier ist die These die, dass wir mit unserem gegenwärtigen Ich-Bewusstsein den halben Weg zurückgelegt haben (deshalb der Buchtitel "Halbzeit der Evolution"187):
... trotz aller Mängel stellt das mentale Ego aus der Sicht der Ewigen Philosophie doch so etwas wie die Markierung der halben Strecke auf dem Pfad der Transzendenz dar. Das soll heissen: Das ichhafte Selbstbewusstsein befindet sich auf halbem Wege zwischen dem Unbewussten der Natur und des Überbewussten des GEISTES. Das Unbewusste von Materie und Körper weicht dem seiner selbst Bewussten des Verstandes (Geist) und des Ego, das seinerseits dem Überbewussten der Seele und des GEISTES Platz macht.188
Die Evolution hat eine "Höchste Ganzheit" in Form eines unbewussten Urgrundes zum Ausgangspunkt und sie kehrt am Ende in bewusster Form wieder zu dieser Ganzheit zurück."189 Den ganzen Vorgang nennt Wilber die "Grosse Kette des Seins" (siehe dazu Abbildung 9).
Abbildung 9: Die "Grosse Kette des Seins", die Evolution des Bewusstseins, als Kreis dargestellt. Sie hat jetzt oben die Halbzeit erreicht. Links hinauf durchläuft die Entwicklung die Stufen, die wir auch von Gebser (vgl. 4) kennen, rechts hinunter findet  die Bewegung ihre Fortsetzung zu einem Überbewusstsein, deren Stufen wir hier im Detail nicht betrachten (aus Wilber 1984: 24). Man beachte: Die Beschriftung der unteren beiden Kreissektoren ist offensichtlich falsch und muss vertauscht werden.
Abbildung 9: Die "Grosse Kette des Seins", die Evolution des Bewusstseins, als Kreis dargestellt. Sie hat jetzt oben die Halbzeit erreicht. Links hinauf durchläuft die Entwicklung die Stufen, die wir auch von Gebser (vgl. 4) kennen, rechts hinunter findet die Bewegung ihre Fortsetzung zu einem Überbewusstsein, deren Stufen wir hier im Detail nicht betrachten (aus Wilber 1984: 24). Man beachte: Die Beschriftung der unteren beiden Kreissektoren ist offensichtlich falsch und muss vertauscht werden.

Anmerkungen

187
Wilber 1984.
188
Wilber 1984: 23. Die "Ewige Philosophie" (Philosophia perennis) ist eine Bezeichnung für den ursprünglichen Ausgangspunkt allen Philosophierens, die metaphysische Einsicht, dass der Welt irgendeine Art von Unendlichem, Absolutem, Göttlichen zugrunde liegt. Dabei ist, wenn wir den letzteren Begriff bevorzugen, "die Gottheit ... nicht ein von allen endlichen Dingen getrenntes Grosses Ding, sondern eher die Realität, das Sosein oder der Urgrund aller Dinge" (Wilber 1984: 17). Mit der Schreibweise "Geist" gegenüber "GEIST" hat der Übersetzer versucht, die englischen Begriffe "mind" bzw. "spirit" wiederzugeben. "Mind" steht für die mentalen Fähigkeiten des Menschen, ist also "Geist" im Sinne von Denken, Verstand, Intellekt ... (so wie ich den Begriff in 2.1 gebraucht habe), während "spirit" den "beseelenden" oder transzendentalen "Geist" meint (vgl. Wilber 1984: 13, 2. Fussnote) Adjektivisch könnten wir dieser Unterscheidung auch im Deutschen mit der Gegenüberstellung von "geistig" versus "spirituell" gerecht werden.
189
Wilber 1984: 26.