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Bewusstsein

Bewusstsein

1. Begriffliches
1.1 Bewusstsein
1.2 Seele und Geist
2. Die drei Bewusstseinsebenen
2.1 Natur und Geist: Partner oder Widersacher?16
Mit einigen Änderungen aus Dieter Steiner 1997: 46-49, übernommen.
2.2 Kopf, Hand und Herz44
Mit einigen Änderungen aus Steiner 1997: 49-51 übernommen.
2.3 Mehr zum praktischen Bewusstsein63
Mit einigen Änderungen aus Steiner 1997: 51-54 übernommen.
2.4 Implizites und explizites Wissen
3. Welt, Mitwelt, Umwelt: Die drei Bewusstseinsebenen und ihre Beziehungsfähigkeit86
Mit einigen Änderungen aus Steiner 1997: 54-67 übernommen.
3.1 Die Welt und Ich
3.2 Ich und Du, Du und Ich
3.3 Ich und die Welt, Ich und Es
4. Bewusstseinsentwicklung in der kulturellen Evolution (Jean Gebser)126
Mit einigen Änderungen übernommen aus Steiner 1997: 83-86, und Zusätzen aus Steiner 1994: 205-215.
4.1 Die archaische Stufe128
Vgl. Gebser 1949: 73 ff.
4.2 Die magische Stufe130
Vgl. Gebser 1949: 79 ff.
4.3 Die mythische Stufe133
Vgl. Gebser 1949: 100 ff.
4.4 Die mentale Stufe139
Vgl. Gebser 1949: 123 ff.
5. Zur ontogenetischen Bewusstseinsentwicklung
5.1 Der genetische Strukturalismus von Jean Piaget
Der Schweizer Jean Piaget (1896-1980) ist in erster Linie bekannt für seine Studien über die Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters. Diese Studien müssen aber in einem grösseren Zusammenhang gesehen werden. Piagets Hautpinteresse galt der Erkenntnistheorie, die er im Gegensatz zur üblichen philosophischen Diskussion zu verwissenschaftlichen suchte. Es war sein Anliegen zu zeigen, dass es für die menschliche Erkenntnisfähigkeit phylo- und ontogenetische Hintergründe gibt. Die theoretischen Vorstellungen, die er dazu entwickelte, werden etwa unter dem Titel "genetischer Strukturalismus" gefasst.149
So z.B. bei Hans-Christian Harten 1977.
Zum Adjektiv "genetisch" wäre dabei zu bemerken, dass sich dies im Verständnis von Piaget auf jede Form von Entwicklungsprozess (Genese), nicht aber auf die Vererbungslehre (Genetik) bezieht.150
Vgl. Ingrid Scharlau 1996: 9.
Piaget ist der Meinung, dass die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten aber auch des Verhaltens von Kinder und Jugendlichen strukturelle Züge trägt, d.h. durch allgemeine, von Inhalten losgelösten Formen beschrieben und erklärt werden kann. Unter einer Struktur versteht Piaget die Existenz verinnerlichter Operationen mit Systemcharakter, wobei er versucht, diese Operationen in mathematisch-logischer Form, insbesondere auf der Basis der mathematischen Gruppentheorie, aber auch der Kybernetik zu fassen.151
Siehe Scharlau 1996: 79-86.
Allgemein können Strukturen als Systeme von Wechselbeziehungen unter ihren Elementen und zwischen diesen Elementen und dem Ganzen bestimmt werden. In Piagets Augen sind drei Merkmale notwendig, um Strukturen zu definieren: Ganzheit, transformatorische Tätigkeit und Selbstregelung. ... Strukturen bilden also erstens abgeschlossene komplexe Einheiten mit Ganzheitscharakter, die unabhängig von den Elementen, aus den denen sie konstruiert sind, untersucht werden können und Eigenschaften aufweisen, die von denjenigen ihrer Elemente verschieden sind. ... Strukturen sind zweitens nicht statisch, sondern als Systeme von Operationen oder Transformationen bestimmt. ... Wahrnehmung, Verhalten und Erkennen beruhen auf der aktiven Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt ... Schliesslich regeln Strukturen sich selbst, das heisst bedürfen zu ihrer Konstruktion und Erhaltung keines äusseren Mechanismus. Der biologische Organismus ist wie das System geistiger Erkenntnisstrukturen in Piagets Augen ein selbstregelndes System ...152
Scharlau 1996: 81-82.
Betrachten wir hier, hauptsächlich gestützt auf die Darstellung bei Ingrid Scharlau,153
Siehe Scharlau 1996: 31-63. Vgl. auch mit Herbert Ginsburg und Sylvia Opper 1975 und mit Detlef Garz 1989: 103 ff.
einen Abriss über die von Piaget empirisch (unter anderem durch die Beobachtung seiner eigenen Kinder) herausgearbeiteten Stufen der Psychogenese.
1.
Sensomotorische Stufe (Geburt bis 18-24 Monate alt):
Die Bezeichnung "sensomotorisch" deutet darauf hin, dass in dieser Phase Wahrnehmungen und Bewegungen grundlegend sind, während Sprache und Denken weitgehend fehlen. Diese Stufe wird noch einmal in sechs Stadien unterteilt:
1.
Stadium der angeborenen Reflexe (erster Monat): Der Säugling hat kein Bewusstsein von sich selbst und kann nicht zwischen sich und der Aussenwelt unterscheiden. Sein Verhalten ergibt sich aus seiner ererbten Reflexausstattung, die insbesondere einen Saugreflex und einen Greifreflex umfasst. Dabei handelt es sich nicht - wie dies bei einem behavioristischen Ansatz behauptet würde - um eine Ansammlung isolierter und automatischer Reiz-Reaktions-Abfolgen, sondern den einzelnen Bewegungen liegt ein organisierendes strukturelles Schema zugrunde.
2.
Stadium der primären Zirkulärreaktionen (2 bis 4 Monate): Es handelt sich hier um elementare Gewohnheiten, die auf den eigenen Körper bezogen sind wie z.B. das Daumenlutschen, das zufällig entdeckt, als angenehm empfunden und dann beibehalten wird. Diese Gewohnheiten stellen Integrationen von Reflexen des vorangehenden Stadiums dar.
3.
Stadium der sekundären Zirkulärreaktionen (4 bis 8 Monate): Es entwickeln sich nun Verhaltensweisen, die auf äussere Objekte bezogen sind, und zwar so, dass sie versuchen, zufällig entdeckte Effekte zu reproduzieren. Es sind hier die ersten Ansätze eines intelligenten Verhaltens erkennbar, das darauf gerichtet ist, unter Einsatz gewisser Mittel ein Ziel zu erreichen. Die dabei zugrundeliegenden Schematas bauen auf den Reflexen und Gewohnheiten der vorherigen Stadien auf.
4.
Stadium der Koordination der sekundären Schemata in Mittel-Zweck-Beziehungen (8 bis 12 Monate): Das Verhalten des Kindes zeigt erstmals echt intentionale und damit intelligente Züge. Es ist nun imstande, alte Gewohnheiten (sekundäre Zirkulärreaktionen) auf neue Probleme anuzuwenden.
5.
Stadium der tertiären Zirkulärreaktionen (ein bis anderthalb Jahre): Das Verhalten verliert seinen konservativen Grundzug, das Interesse für Neues erwacht. Das Kind integriert verschiedene sekundäre Gewohnheiten und varriert sie aktiv.
6.
Stadium des beginnenden Denkens (anderthalb bis zwei Jahre): Probleme werden nicht mehr nur via ausprobierendes Kennenlernen gelöst, sondern es kommen jetzt auch einfache geistige Kombinationen von Schemata ins Spiel.
2.
Konkretoperationale Stufe (2 bis 12 Jahre):
Diese Stufe baut auf den bisher erworbenen Konzepten auf und entwickelt sie weiter. Allgemein bedeutsam für diese Stufe ist die Existenz der Fähigkeit, etwas durch ein Symbol oder Zeichen zu repräsentieren. Dazu kommen sowohl individuelle Symbole, die eine Verwandtschaft mit dem Darzustellenden aufweisen, wie auch konventionelle, kollektiv verwendete Zeichen in Frage. Damit geht die kindliche Intelligenz langsam vom Handeln zum Denken über. Piaget unterscheidet drei Abschnitte:
1.
Präoperationales Stadium des vorbegrifflichen Denkens (2 bis 4 Jahre): Das Kind ist noch nicht in der Lage, Allgemeinbegriffe zu bilden und es verwendet auch eher individuelle als kollektive Symbole.
2.
Präoperationales Stadium des anschaulichen Denkens (4 bis 7 Jahre): Die bisher erworbenen Vorstellung werden immer stärker untereinander koordiniert, in logische Beziehungen zueinander gebracht und verbegrifflicht. Das Denken orientiert sich aber trotz dieser logischen Möglichkeiten vorläufig vornehmlich am Anschaulichen.
3.
Konkretoperationales Stadium i.e.S. (8 bis 12 Jahre): Das Kind kann zunehmend komplexere Aspekte der äusseren Wirklichkeit und des eigenen Handelns sich gedanklich vorstellen und verstehen. Die bisherigen Fähigkeiten werden systematisiert und es werden vorwissenschaftliche Begriffe gebildet. Mit Operationen meint Piaget "verinnerlichte Handlungen, die nicht tatsächlich durchgeführt werden müssen, sondern denkend vollzogen werden können."154
Scharlau 1996: 48.
Dabei beziehen sich die Operationen auf dynamische, genauer: transformatorische und relationale Aspekte, während mit den strukturellen Muster der beiden präoperationalen Stadien lediglich statische Aspekte erfasst werden konnten. Typisch konkretoperationale Tätigkeiten sind etwa Zählen und Rechnen und die Bildung von Klassen.
3.
Formaloperationale Stufe (12 bis 14 oder 15 Jahre):
Hier wird der Übergang vom Handeln zum Denken abgeschlossen. "Nun ist der Jugendliche fähig, abstrakt zu denken und bewusste Erkenntnis zu vollziehen, er entwickelt Theorien über die Welt, sinnt über ihre Möglichkeiten nach und versucht, sich Phänomene im strengen wissenschaftlichen Sinne zu erklären."155
Scharlau 1996: 55.
Das formaloperationale Denken ist fähig, Aussagen über Tätigkeiten der konkretoperationalen Art zu machen. Es macht sich von konkreten Objekten, Eigenschaften und Verhältnissen unabhängig.
Zum Verständnis des Piagetschen Stufenmodells sind noch die folgenden Punkte von Bedeutung: Zwar geht die psychische Entwicklung kontinuierlich vor sich, aber sie hat doch die Tendenz sich auf verschiedenen, unterscheidbaren Ebenen zu organisieren. Diese stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, d.h. diese Ebenen stellen nicht bloss eine empirisch feststellbare Reihenfolge dar, sondern es bestehen logische Abhängigkeiten, indem die Schemata einer jüngeren Ebene immer auf denjenigen der bisherigen Ebenen aufbauen. Die Entwicklung, die durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt zustande kommt, baut auf zwei Funktionen auf, die Piaget Assimilation und Akkomodation nennt.156
Vgl. dazu Scharlau 1996: 86 ff.
Die Assimilation hat dabei einen konservativen Charakter, indem sie in der Anwendung einer bestehenden Struktur auf neue Gegenstände besteht; diese werden jenen angeglichen. Umgekehrt ist die Akkomodation progressiver Natur, denn hier verändert sich eine Struktur in Anpassung an Besonderheiten der äusseren Realität. Insgesamt stellt die Stufensequenz, wie Piaget mehrfach betont, eine Entwicklung vom Handeln zum Denken dar. Im Vergleich mit unseren Bewusstseinsebenen ist damit im Prinzip eine Verlagerung vom praktischen zum diskursiven Bewusstsein angesprochen. Ganz einfach ist aber eine Zuordnung nicht (diese sei aber im Tabelle 4 trotzdem versucht); im Piagetschen Schema kommt schön zum Ausdruck, wie sehr rasch alle drei Ebenen zusammenwirken, wobei dann die Entwicklung durch eine Verschiebung des Schwergewichtes geschieht. Eindeutig hingegen können die von Piaget genannten psychischen Prozesse, die Reflexe, die Verhaltensschemata und die Denkoperationen eingeordnet werden (siehe Tabelle 5).
Tabelle 5: Vergleich der Entwicklungsschemata von Piaget und von Kohlberg mit der Beschreibung der Bewusstseinsstruktur durch drei Ebenen
Bewusstseinsebene
1
2
3
Bewussstseinstyp
nach Giddens
Unbewusstes
Praktisches
Bewusstsein
Diskursives
Bewusstsein
Psychische
Entwicklungsstufe
nach Kohlberg
Präkonventionell
Konventionell
Postkonventionell
Prozesse der psy-
chischen Entwicklung
nach Piaget
Reflexe
Verhaltensschemata
Denkoperationen
Psychische
Entwicklungsstufe
nach Piaget
Sensomotorisch
Konkretoperational
Formal-
operational
Schliesslich sei noch auf gewisse Kritik aufmerksam gemacht, die am Modell von Piage geäussert worden ist.
Piagets Ansatz hebt den einzelnen hervor, das Individuum, das für sich allein lernt und dessen Lernen und Entwicklung gewissermassen nur von ihm selbst hervorgebracht werden. … [Neben anderen Schwierigkeiten] übersieht Piaget … alle sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen von Erkenntnis oder unterschätzt doch wenigstens ihren Einfluss bzw. ihre konstitutive Bedeutung für Erkenntnis. … Trotz seiner grundsätzlich genetischen Perspektive untersucht er gewissermassen nur die rational rekonstruierbaren Bedingungen von Erkenntnis und setzt sich damit nur mit einem Aspekt der Geschichte des Wissens auseinander.157
Scharlau 1996: 143 bzw. 147.
Piagets Formalismus scheint insgesamt zu streng zu sein, als dass er dem menschlichen Verhalten und Erkennen gerecht werden könnte. Den gerade in erkenntnistheoretischer Hinsicht bedeutsamen Vorteilen seiner Entwicklungspsychologie, allem voran der Möglichkeit, die geistigen Strrukturen des Kindes mit solchen Strukturen in eine direkte Verbindung zu bringen, welche in den Wissenschaften angewandt werden, entspricht der Nachteil der Vernachlässigung der qualitativen Vielfalt des kindlichen Handelns und Erkennens. Inhaltliche Aspekte der Entwicklung werden von Piaget weitgehend ignoriert. … Hier lässt sich … zu Recht fragen, ob Piaget damit nicht wesentliche Aspekte der Weltsicht und der Entwicklung von Kindern übersieht, deren Betonung gerade im Kontrast zum auf die Erkenntnis zentrierten neuzeitlichen Selbstverständnis des Menschen von grosser Bedeutung wäre.158
Scharlau 1996: 73-74.
5.2 Die Theorie der moralischen Entwicklung von Lawrence Kohlberg
6. Ist das Bewusstsein der Zukunft transpersonal?
6.1 Die Transzendenz des mentalen Ich-Bewusstseins: Einige Vorstellungen
6.1.1 Das "integrale Bewusstsein" bei Jean Gebser
6.1.2 Der "Punkt Omega" bei Pierre Teilhard de Chardin
6.1.3 Das "transpersonale Überbewusstsein" bei Ken Wilber
6.1.4 Das "globale Gehirn" der Cyberspace190
Der Begriff "Cyberspace" stammt aus der Science Fiction-Erzählung "Neuromancer" von William Gibson. Es ist der Raum, der innerhalb und zwischen den vernetzten Computern geschaffen wird, in dem Raum und Zeit kollabieren, "giving us the potential to connect with anyone anywhere and information everywhere, here and now" (Peter und Trudy Johnson-Lenz 1997: 43).
-Futuristen
6.1.5 Die "Selbstrealisierung" bei Arne Naess
6.2 "Leere" und "Fülle" in der buddhistischen Bewusstseinslehre205
Mit einigen Kürzungen übernommen aus Steiner 1997: 98-106.
7. Gibt es ein weibliches und ein männliches Bewusstsein?
7.1 Kommunikative versus instrumentelle Rationalität: Hans Kummer und Peter Ulrich
7.2 Natur versus Geist: Erich Neumann und Gerda Weiler
7.3 Fürsorge versus Gerechtigkeit: Lawrence Kohlberg und Carol Gilligan258
Mit geringen Änderungen übernommen aus Steiner 1994: 221-223.
Zitierte Literatur